Europa

Die EWG und deren Perzeption in der deutschen Öffentlichkeit

von Björn Böhling

4.4. DIE WELT

Die Tageszeitung „DIE WELT, deren Leser laut einer Erhebung von 1960 der Oberschicht zuzuordnen seien, bezogen die Zeitung zu über 80% im Abonnement. Sie war bundesweit und im Ausland zu erwerben.

„DIE WELT“ griff den Gemeinsamen Markt als eigenes Thema schon wenige Tage vor der Vertragsunterzeichnung auf. Am 23. März 1957 erschien unter der Rubrik ‚Das Forum der WELT’ ein ganzseitiger Bericht unter der Überschrift „Europas Wirtschaftsunion im Kreuzfeuer“.[71] Nach eigenen Angaben stellte die Zeitung drei Meinungen dar, die die Kontroverse über die EWG bezeugten. Der Artikel „Ein Beitrag für die Einigung“ sah eine finanzielle Belastung der Bundesrepublik, stand aber auch für die Notwendigkeit der Abschaffung der Kleinstaaterei und der damit verbundenen Zersplitterung ein und wollte die Freihandelszone durch eine umfassendere Zollunion ergänzt sehen. Die EWG sei mithin ein Schritt oder Anstoß auf dem Weg zu einer weltweiten Wirtschaftspolitik. Der Beitrag „Die Grundlage: Solide Währungspolitik“ sah die von Kritikern dargestellten Gefahren des Gemeinsamen Marktes als begründet an, befand aber die Entwicklung der zukünftigen Politik als entscheidend. Von zwingender Wichtigkeit sei eine solide Währungs- und Wirtschaftspolitik aller teilnehmenden Staaten. Fraglich sei allerdings, ob die Teilnehmer genügend Disziplin aufbieten könnten, und da der EWG zur Kontrolle der Mitglieder zu wenig Werkzeuge gegeben seien, sei man auf den guten Willen aller angewiesen. Der Artikel „Eingliederung in die Weltwirtschaft“ nahm ein weiteres Argument auf und wies auf die drohende Blockbildung gegenüber den osteuropäischen Staaten hin. Außerdem sei Deutschland als Niedrigzollland von den höheren EWG-Zöllen stark negativ betroffen. Die Sonderbehandlung der Landwirtschaft mit vielen Ausnahmegenehmigungen war hier ein weiteres Argument gegen den Gemeinsamen Markt.

Auch in der Ausgabe vom 26.3.1957 war der erste Aufmacher der Seite 1 den Vertragsunterzeichnungen in Rom gewidmet.[72] Detailreich wurde die Zeremonie in Rom beschrieben. Inhaltlich standen ‚deutsche Themen’ im Vordergrund, wie die Regelungen für den deutsch-deutschen Warenverkehr und besonderen Hilfeleistungen für Westberlin. Informationen über das Wesen des Vertrages sucht man hier vergeblich. Es wurde kurz auf die Etappen der europäischen Integration hingewiesen und das Erreichen eines wirtschaftlichen Zusammenschlusses in 12 bis 17 Jahren prognostiziert.

Zur EWG fand sich in der „WELT“ noch ein Artikel, der als erster Aufmacher der ersten Seite diente und auf Seite 4 noch fortgesetzt wurde. Unter der Überschrift „Der Bundestag stimmt den Europaverträgen zu – Nur FDP und BHE lehnen ab“ wurde die sachliche, leidenschaftslose Ratifizierung am 5. Juli 1957 erwähnt.[73] Zu beachten ist hier die Auflistung der Punkte, die durch den angenommenen Entschließungsantrag von der Bundesregierung gefordert wurden und die den EWG-Vertrag charakterisierten. Zusammengefasst ging es dabei um die Forderung nach stabilen Preisen, einer Ausweitung der Beschäftigung, der Hebung des Lebensstandards, der gemeinsamen Währungspolitik, nach Unabhängigkeit der Gemeinschaft, um die Abschaffung von Wettbewerbsbeschränkungen, die friedliche Nutzung der Atomenergie und weitere Punkte. Ergänzt wurde dies durch den Wunsch des Bundestags, eine umfassende europäische Einigung zu fördern und durch die Klarstellung, dass die EWG nicht als Bündnis gegen die Sowjetunion verstanden werden solle. Die ablehnend votierenden Abgeordneten wiesen auf die Gefahr der Spaltung Europas und die Verschlechterung der deutschen Wirtschaft durch die Zollangleichungen hin.

„DIE WELT“ informierte ihre Leser ausführlich über die EWG und ließ auch Gegenstimmen zu Wort kommen. Als äußerst positiv zu werten ist die Thematisierung der neuen Wirtschaftsgemeinschaft schon vor der Unterzeichnung. Ebenso ist die Auflistung der Ziele der EWG, die im Entschließungsantrag des Bundestags noch einmal formuliert wurden, nützlich.

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[71] Vgl. „Europas Wirtschaftsunion im Kreuzfeuer“in: DIE WELT vom 23.3.1957, Nr. 70, S. 33, Emminger, O: „Die Grundlage: Solide Währungspolitik“, in: DIE WELT vom 23.3.1957, Nr. 70, S. 33, Schmitt, M.: „Eingliederung in die Wirtschaft“, in: DIE WELT vom 23.3.1957, Nr. 70, S. 33, Beutler, W.: „Ein Beitrag für die Einigung“, in: DIE WELT vom 23.3.1957, Nr. 70, S. 33.

[72] Vgl. „Euratom und Zollunion in Rom unterzeichnet, Auch gemeinsame Hilfe für Berlin“, in: DIE WELT vom 26.3.1957, Nr. 72, S. 1.

[73] Vgl. „Der Bundestag stimmt Europaverträgen zu, Nur FDP und BHE lehnen ab“, in: DIE WELT vom 6.7.1957, Nr. 154, S. 1, 4.
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