Europa

Die EWG und deren Perzeption in der deutschen Öffentlichkeit

von Björn Böhling

5. Analyse: „Haben Sie schon einmal die Bezeichnung ‚Gemeinsamer Markt’ gehört oder gelesen?“ – Eine empirische Erhebung zur EWG in Deutschland 1957/58

Das Meinungsforschungsinstitut Allensbach führte Ende der 50er Jahre eine Reihe von empirischen Erhebungen durch. Darunter waren auch Fragen zur Europäischen Vereinigung, zur EKGS und zum Gemeinsamen Markt / EWG. Es lässt sich anhand der Daten rekonstruieren, wieweit Europa und die EWG das Denken einer repräsentativen Anzahl von Deutschen bestimmte und welche Haltung sie zu diesen Themen einnahmen.[87]

Zunächst ging es um die Frage der Wichtigkeit der Themen. Die Forscher fragten: „Was halten Sie für die wichtigste Frage, mit der man sich heute in Westdeutschland allgemein beschäftigen sollte?“ (Tab. 2)[88]

Wiedervereinigung 45%
Frieden erhalten 16%
Berlin-Frage 16%
Wirtschaftslage 15%
Rüstung, Atomfragen, Abrüstung 4%
Beendigung der Kriegsfolgen (Friedensvertrag) 3%
Europäische Vereinigung x%
Sonstiges 8%
Weiß nicht, keine korrekte Angabe 8%

Tab. 2: Die wichtigsten Fragen in Westdeutschland im Januar 1959.

Anfang 1959 stand Europa also weit abgeschlagen auf dem letzten Platz der gewerteten Antworten. Die Wiedervereinigung beherrschte klar die politische Tagesordnung, gefolgt von der Frage des Friedenserhalts und der Frage nach dem Status Berlins. Nur weniger als 0,5% der Befragten nannten die europäische Vereinigung.

Das Ergebnis ist dahingehend beachtlich, dass der Anfang zum Gemeinsamen Markt gerade erst ein Jahr zurück lag. Doch wie bewerteten die Menschen diesen Beginn? Waren sie schon nach einem Jahr mit dem Beginn des Gemeinsamen Marktes so zufrieden, oder hatten sie sich enttäuscht abgewandt, oder war ihnen das Thema einfach so fern? Wo lagen die Gründe für das Desinteresse?

Die im vorherigen Kapitel formulierte These stützt sich auf die Uninformiertheit der Bürger, wodurch durchaus ein scheinbares Desinteresse und Minderbewertung der Europa-Fragen resultieren könnte. Dieser Weg soll weiter verfolgt werden. Dazu ist es nötig zu fragen, was die Deutschen über die EWG wussten. Zu dem Thema stellte Allensbach ab 1957 folgende Fragen:
„Haben Sie schon einmal die Bezeichnung ‚Gemeinsamer Markt’ gehört oder gelesen?“[89]

Jan. 1957 in % Jan. 1958 in %

Ja 49 56
Nein 51 44

Tab. 3: Kenntnis der Bezeichnung ‚Gemeinsamer Markt’ 1957/58.


Überraschenderweise meinten zu Beginn des Jahres 1958 nur etwas mehr als die Hälfte der Bundesbürger, die Bezeichnung überhaupt gehört zu haben. Weiter wurden die Personen, die die Bezeichnung Gemeinsamer Markt oder Europäische Wirtschaftsgemeinschaft kannten, gefragt: „Könnten Sie etwas näher erklären, was das ist, oder in welchem Zusammenhang Sie davon gehört haben?“[90]

Jan. 1957 in % Jan. 1958 in %
Richtige Antworten 17 21
Vage, aber nicht
falsche Antworten 16 19
Falsche Antworten 4 1
Weiß nicht 12 15
Nicht befragte Restgruppe 51 44

Tab. 4: Versuch der Erklärung des Begriffs ‚Gemeinsamer Markt’ 1957/1958.


Von den befragten 56%, die die vorherige Frage mit Ja beantworteten, konnten nur 21% eine richtige Erklärung liefern, während 15% keine Angaben geben konnten.[91] Kehrt man die Rechnung um, dann waren von 100 Deutschen nur 21 im Stande, den Begriff ‚Gemeinsamer Markt’ richtig zu erläutern – also nur 21%!

Das Institut stellte noch eine weitere Fragen, die allerdings den Kenntnisstand der Deutschen von 1960 prüften. Da dieses Datum nun aber mehr als zwei Jahre nach dem der zuletzt ausgewerteten Zeitungen liegt, bleiben diese Erhebungen hier unbeachtet. Zu einer Bewertung des Gemeinsamen Marktes nach Vorteilen und Nachteilen gibt es für den hier behandelten Zeitraum leider kein Material.[92]

Die Personen, denen der Begriff ‚Gemeinsamer Markt’ bekannt war, wurden weiter befragt: „Wissen Sie das zufällig: Sind das mit dem ‚Gemeinsamen Markt’ nur Zukunftspläne, oder ist da schon ein Vertrag abgeschlossen worden?“[93]

Ges. in % M. in % F. in %
Vertrag abgeschlossen 28 43 17
Noch kein Vertrag
abgeschlossen 9 12 6
Weiß nicht 23 22 23
Nicht befragte Restgruppe 40 23 54

Tab. 5: Kenntnisse über den Vertragsabschluss zum ‚Gemeinsamen Markt’ 1958.

Von den 60%, die den Begriff ‚Gemeinsamer Markt’ kannten wussten im Januar 1958 nur 28%, dass der EWG-Vertrag schon abgeschlossen worden war. In Wirklichkeit wurde er, wie oben beschrieben, im März unterzeichnet, im Juli ratifiziert und trat im Januar 1958 in Kraft. Über die Entwicklung des EWG-Vertrages war also nur etwas mehr als ¼ der deutschen Bevölkerung informiert.[94] Die Authentizität dieser letzen Daten muss allerdings in Frage gestellt werden, da hier als Restgruppe der Wert 40% auftaucht. Tatsächlich hatten aber im Januar 1958 44% der Menschen behauptet den Begriff ‚Gemeinsamer Markt’ noch nicht gehört zu haben.

Im letzten Kapitel werden nun die Ergebnisse der Analyse der Printmedien mit denen der Erhebungen in Verbindung gebracht und gedeutet. Dazu wird wieder die These aus Kapitel 4.7 aufgegriffen und gefragt: Waren die Deutschen wirklich durch Zeitungen und Zeitschriften schlecht über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft informiert und kann erst dadurch auf ein großes Desinteresse geschlossen werden?

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[87] Die folgenden Seitenangaben beziehen sich auf das Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1958-1964, hrsg. von Elisabeth Noelle und Erich Neumann, Institut für Demoskopie Allensbach, Allensbach und Bonn 1965.

[88] S. 250. Die mit einem ‚x’ gekennzeichnete Stellen besagen Antworten von weniger als 0,5%.

[89] S. 542. Es wird darauf hingewiesen, dass bei der Hälfte der Befragten der Begriff ‚Gemeinsamer Markt’ gegen ‚Europäische Wirtschaftsgemeinschaft’ ausgetauscht wurde.

[90] S. 543.

[91] Die Kategorie ‚Vage, aber nicht falsche Antworten’ wird hier nicht weiter verfolgt, da eine Einteilung der Antworten in diese Kategorie nicht nachvollzogen werden kann und sich der Begriff ‚Gemeinsamer Markt’ zu einem großen Teil selbst erklärt.

[92] Lediglich eine Erhebung vom Juni 1960 brachte das Ergebnis, dass 77% die Frage „Haben Sie davon gehört, dass wir uns mit anderen Ländern zum ‚Gemeinsamen Markt’ zur ‚Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, zusammengeschlossen haben?“ bejahten. Es liegt hier nahe zu vermuten, dass die Art Fragestellung diese Antwort provozierte. Jedenfalls waren von diesen 77% 57% der Menschen der Meinung, diese Mitgliedschaft sein für Deutschland von Vorteil. Nur 6% sahen darin einen Nachteil, der sich in dem Glauben an eine ungünstige Beeinflussung der deutschen Wirtschaft ausdrückte (S. 543f).

[93] S. 543.

[94] Die Unterschiede in der Informiertheit von Frauen und Männern werden hier nicht weiter verfolgt.
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